Stellenanzeigen Sie noch oder vermarkten Sie schon?

20. Januar 2021

Stellenanzeigen

Das Wichtigste in Kürze

  • Stellenanzeigen sind im Grunde genommen Produktbeschreibungen, die Marketingkompetenz brauchen
  • Zielgruppenorientierung und Wirksamkeit von Stellenanzeigen steigen durch SEO-Eignung, Aufzählung von Attraktivitätselementen und Verzicht auf Jargon
  • Zu oft fehlt es aber an der Kenntnis von unbewusst verwendeten, geschlechtsspezifischen Formulierungen, die Bewerbungen effektiv verhindern können
  • „Gender Decoder“ oder Algorithmus-basierte Software erhellen diesen blinden Fleck

Stellenausschreibungen sind Produktbeschreibungen

Stellen Sie sich vor Sie sind Produktmanager* und verantwortlich für die Gestaltung der Produktbeschreibung für Lebensmittel. Würden Sie dann Mineralwasser mit dem Attribut „Ist auch nass!“ vermarkten? Oder einen Schokoriegel mit der Aufschrift „Enthält Schokolade. Echt!“ anpreisen?

* = (obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, bezieht sich diese und ähnliche Formulierungen auf Angehörige aller Geschlechter)

Nicht wirklich, vermute ich. Passiert aber bei Stellenanzeigen immer wieder. Da werden echte no-brainer genannt, und glauben Sie mir, die habe ich aus aktuellen Stellenausschreibungen von deutschen Top- Unternehmen mit eigentlich richtig gutem Employer Branding geholt: Hier werden von leitenden Angestellten z. B. „hohe Eigenmotivation“ oder „gute Microsoft-Office-Kenntnisse“ verlangt oder ihnen ein „außertarifliches Gehalt“ versprochen. Reinste Platzfresser. Bitte weglassen. Und beim Marketing mal nachfragen, wie es geht.

Diese gelegentlichen Aussetzer mal ignoriert, hat sich hier in den letzten Jahren schon sehr viel getan, was auf mehr Zielgruppenorientierung und Wirksamkeit einzahlt:

  • An SEO-geeignete und für Außenstehende verständliche Jobtitel hat man ebenso gedacht wie an einschlägige Keywords (Tipp: Googlen sie mal die eigenen Stellenanzeigen).
  • Man trifft immer öfter auf Anzeigen ohne undurchsichtigen Branchen- oder Firmenjargon.
  • Wenige und kurze Aufzählungen statt einem Zuviel an narrativer Prosa.
  • Die Mobilfähigkeit ist deutlich verbessert.
  • Aufzählungen von Attraktivitätselementen sind im Werben um Kandidaten inzwischen Standard.

Auch findet man immer mal wieder ein paar Goldstücke, die sogar schon mit Candidate Personas arbeiten oder bei denen erkennbar ist, dass verstanden wurde, wie kritisch eine geschlechterneutrale Formulierung für die differenzierte Ansprache einer möglichst breiten Zielgruppe ist. Und hiermit ist nicht das Gender-Sternchen oder das m-w-d im Jobtitel gemeint.

Geschlechtsspezifische Formulierungen als Wirksamkeitsturbo

Vielmehr geht es hier um Formulierungen, die der unbewussten geschlechtsspezifischen Kodierung unserer Sprache entgegenwirken – und im Ergebnis mehr Bewerbungen liefern. Meiner Erfahrung nach fehlt es leider noch zu vielen HR-Kollegen und Kolleginnen an der konkreten Kenntnis hierüber, weshalb einiges an (Bewerber-)Potential und bares Geld verschenkt wird.

Was ist damit also genau gemeint? Vereinfacht gesagt, fließen durch erzieherische, gesellschaftliche und kulturelle Konditionierungen stereotypische Muster in Denken, Sprache und Verhalten ein. Hierdurch werden bestimmte Attribute erlernt, die vergleichsweise vermehrt einem Geschlecht zugeordnet werden. So haben Attribute wie z. B. „entschlossen“, „unabhängig“ oder „beharrlich“ eine maskuline Kodierung, während Attribute wie z. B. „kooperativ“, „verständlich“ oder „einfühlsam“ eine feminine haben. In Stellenanzeigen verwendet, wird im Ergebnis dann ein Geschlecht mehr, das andere weniger angesprochen, was eine entsprechende Geschlechterverteilung bei Bewerbungen verstärkt bzw. ein Geschlecht schlichtweg von der Bewerbung abschreckt.

Gender Decoder und spezielle Software

Glücklicherweise bietet das Internet einige einfach zu handhabende Werkzeuge, die helfen, diesen blinden Fleck auszuleuchten, so z. B. der Gender Decoder der TU München, der deutschen Version des englischen Gender Decoders von Kat Matfield, den totaljobs hier noch etwas ansprechender abgebildet hat. Diese Decodierer basieren auf der Arbeit von drei US-Psychologen aus dem Jahr 2011, die sich in einer Analyse von 75.000 Ausschreibungen speziell mit den geschlechter-spezifischen Besonderheiten von Stellenanzeigen auseinandergesetzt haben.

Wer den nächsten Schritt machen möchte, sollte dann auf spezielle Software wie z. B. textio zurückgreifen, die über Algorithmen – oder, wie es ein deutscher Anbieter, 100W nennt, mittels „psychologische AI“ – konkrete Verbesserungsvorschläge für unter Geschlechteraspekten besser formulierte Stellenanzeigen unterbreiten.

Das kann sich durchaus auszahlen. So hat die australische Software-Firma Atlassian nach eigener Aussage durch die Nutzung von textio innerhalb von zwei Jahren die Quote der weiblichen Bewerberinnen auf technische Positionen um 80% erhöht.

Durch die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Formulierungs- kunst kann man schon viel gewinnen. Ich finde aber, dass immer noch eine bedeutende Schippe mehr geht.

Position Value Proposition statt Emloyee Value Proposition

Eine Schippe, die klar differenziert. Die Glaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit und Authentizität als enorm wichtigen Klebstoff für eine wirksame Bindung bereits in dieser Phase der Beziehungsanbahnung zwischen Unternehmen und Kandidat appliziert und damit auch indirekt eben diese Werte transportieren kann, die wiederum eine selbstverständliche Basis für erfolgreiches Wirtschaften bilden.

Diese Schippe nenne ich „Position Value Proposition“ (PVP). Was genau ich damit meine, wie sich diese gegenüber einer oft viel zu allgemein gehaltenen, wenn nicht gar leblosen „Employee Value Proposition“ (EVP) differenziert und wie man sie mit einfachen Mitteln herausarbeiten kann, dazu dann mehr in meinem nächsten Blog.

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Olaf Schaefer

Olaf Schaefer

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Ich bin Mit-Gründer und Vorstand der HR Recruitment & Interim AG und manchmal auch noch HR Interim Manager, wodurch ich in den aktuellen HR- Themen drin bleibe. In meiner bisherigen Laufbahn durfte ich u. a. als HR Director, Werkspersonalleiter, Change Manager und in einer Vielzahl von HR-Projekten für Unternehmen wie Shell, PPG Industries, Magna, AstraZeneca und Vattenfall arbeiten.

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